Ich trage zwei Hüte, jeden Tag. Den einen setze ich morgens auf, wenn ich mein eigenes Kind in die Kita bringe, den Hut der Mutter, gefüllt mit Liebe und Hoffnung. Diese leise, ständigen Sorge, ob es ihm gut gehen wird, ob es gesehen wird, ob es bekommt, was es braucht. Den anderen Hut trage ich beruflich, als Erzieherin hier in Berlin. Dieser Hut ist gefüllt mit Fachwissen, pädagogischen Idealen, dem Wunsch, jedes Kind bestmöglich zu fördern. Und einer wachsenden, manchmal fast erdrückenden Kenntnis der Realität in unseren Kitas.

Zwischen Sorge und Anspruch

Dieser tägliche Wechsel, dieser Spagat zwischen der liebenden Sorge der Mutter und dem professionellen Anspruch der Pädagogin, ist in den letzten Jahren zu einer Zerreißprobe geworden. Die Kluft zwischen dem, was wir als Fachkräfte wissen, was Kinder für eine gesunde Entwicklung brauchen. Und dem, was wir unter den gegebenen Umständen tatsächlich leisten können, wird immer größer. Es ist eine Kluft, die schmerzt. Sie schmerzt, wenn ich als Mutter mein Kind abgeben muss und hoffe, dass es nicht in der Masse untergeht. Und sie schmerzt, wenn ich als Erzieherin sehe, wie individuelle Bedürfnisse auf der Strecke bleiben, weil schlicht die Zeit, das Personal oder die Ressourcen fehlen.

Ein Morgen an der Kita-Tür

Ich erinnere mich an unzählige Morgen, die dieses Dilemma auf den Punkt bringen: Ein schneller Kuss für mein Kind an der Gruppentür, ein flüchtiges „Hab dich lieb“, begleitet von diesem beklemmenden Gefühl im Bauch. Ich sehe die volle Gruppe, höre den Lärmpegel, weiß um den knappen Personalschlüssel. Und wenige Minuten später stehe ich selbst in meinem Gruppenraum, vielleicht sogar in derselben Kita, und sehe mich einer ähnlichen Situation gegenüber. Ich lächle die ankommenden Eltern an, versuche Sicherheit auszustrahlen, während mein Kopf rattert: Wie schaffe ich das heute? Wie werde ich all diesen kleinen Persönlichkeiten gerecht, wenn ich kaum Zeit habe, einem Kind in Ruhe die Schuhe zu binden, einem anderen zuzuhören, das Trost braucht. Oder das Kind mit besonderem Förderbedarf so zu unterstützen, wie es mein Wissen als Inklusionspädagogin eigentlich verlangt? Es ist das Gefühl, ständig gegen Windmühlen anzukämpfen, und die Sorge um das Wohl aller Kinder, meines eigenen und der mir anvertrauten.

Die unsichtbare Kluft

Lange habe ich gezögert, meine Gedanken und Erfahrungen so offen zu teilen. Man will nicht undankbar wirken, nicht klagen, nicht das System schlechtreden, in dem so viele engagierte Menschen ihr Bestes geben. Aber das Schweigen hilft niemandem. Es hilft nicht den Kindern, deren Start ins Leben unter diesen Bedingungen erschwert wird. Es hilft nicht den Eltern, die zwischen Beruf, Familie und der ständigen Unsicherheit durch Kita-Ausfälle zerrieben werden. Und es hilft auch nicht uns Fachkräften, die mit Leidenschaft gestartet sind und nun Gefahr laufen, an einem System zu zerbrechen, das uns und die Kinder im Stich lässt.

Dieser Text ist deshalb ein Versuch, eine Brücke zu bauen. Es soll Verständnis wecken für die Realität hinter den oft beschönigenden Fassaden der Berliner Kita-Landschaft. Es soll aufrütteln und zeigen, welche Probleme sich in den letzten Jahren zugespitzt haben und warum politisches und gesellschaftliches Handeln so dringend notwendig ist. 

Vor allem aber möchte ich Empathie schaffen, Empathie für die Kinder, die unsere Zukunft sind und die bestmögliche Bildung und Betreuung verdienen. Empathie für die Eltern, die jeden Tag aufs Neue jonglieren und vertrauen müssen. Und Empathie für meine Kolleginnen und Kollegen, die Erzieherinnen und Erzieher, die trotz aller Widrigkeiten jeden Tag versuchen, kleine Wunder zu vollbringen.

Warum Schweigen keine Option mehr ist

Es ist Zeit, dass wir genau hinschauen, zuhören und verstehen, was auf dem Spiel steht. Denn wenn wir jetzt nicht handeln, verspielen wir nicht nur die Gegenwart unserer Kinder. Sondern auch die Zukunft unserer Gesellschaft. Ich kann und will dazu nicht länger schweigen.

EchtUnperfekt 🙂


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