Wenn Eltern die Verantwortung für ein krankes System tragen müssen

Es ist 7:45 Uhr. Die Brotdose ist gepackt, der Schulranzen steht bereit, das Kind wartet und dann kommt die Nachricht: „Der Unterricht fällt aus. Bitte betreuen Sie Ihr Kind zu Hause. Aufgaben werden mitgegeben.“ Was für uns als Familien früher eine Ausnahme war, ist heute Alltag. Ein Alltag, der sich leise eingeschlichen hat und laut wird, sobald wir Eltern an unsere Belastungsgrenzen stoßen.

Schulpflicht, aber für wen?  

In Deutschland herrscht Schulpflicht, ein Grundrecht auf Bildung. Doch was passiert, wenn der Staat dieser Pflicht nicht mehr nachkommen kann? Wenn Lehrermangel dazu führt, dass Kinder wochenlang keinen regulären Unterricht haben? Wenn aus Bildung ein Selbstlern-Experiment wird, bei dem Eltern zu Hilfslehrkräften werden und Kinder auf sich allein gestellt sind?  

Seit Jahren ist der Lehrermangel bekannt, doch statt die Ursachen zu bekämpfen, wird an Symptomen herumgedoktert. Laut Kultusministerkonferenz fehlen bis 2035 bundesweit mindestens 25.000 Lehrkräfte, eine konservative Schätzung. In Berlin sind aktuell über 1.000 Stellen unbesetzt. Die Folgen: Vertretungsunterricht, ständiger Ausfall, überforderte Lehrer und frustrierte Schüler.  

Wenn Schule nur noch „irgendwie stattfindet!“  

Die Realität sieht oft so aus: Kinder bekommen Arbeitsblätter nach Hause, ohne Erklärungen. Digitale Plattformen? Fehlanzeige. Selbst wenn Tablets vorhanden sind, mangelt es an WLAN, Konzepten oder Betreuung. Schulen versuchen, „irgendwie durchzukommen“, mit Hausaufgaben statt Unterricht, mit Arbeitsblättern statt Begegnung.  

Besonders betroffen sind Kinder aus benachteiligten Familien. Sie haben oft kein ruhiges Lernumfeld, keine Eltern, die fachlich helfen können, keine technische Ausstattung. Wenn sie scheitern, werden sie später als „Schulabbrecher“ gezählt. 2022 verließen 52.300 Jugendliche die Schule ohne Abschluss, das sind 6,9 % aller Schulabgänger. In manchen Regionen wie Hof in Bayern liegt die Quote sogar bei fast 28 %.

Statt Lösungen gibt es Sanktionen  

Doch wie reagiert das System? Mit Bußgeldern, Mahnungen, sogar Familiengerichten. Eltern werden unter Druck gesetzt, obwohl die Gründe für Fehlzeiten oft im System selbst liegen. Es ist absurd: Der Staat kann keinen verlässlichen Unterricht garantieren, verlangt aber, dass Kinder jeden Tag erscheinen, koste es, was es wolle.

Gleichzeitig werden Förderangebote gestrichen: Schulsozialarbeit gekürzt, AGs abgeschafft, psychologische Betreuung gibt es nur noch in Ausnahmefällen. Die „ganzheitliche Bildung“ reduziert sich auf Prüfungsstoff, Medienkompetenz, Berufsorientierung oder psychische Gesundheit bleiben auf der Strecke.

Eltern als letzte Auffanglinie  

Hinter all diesen Problemen stehen Familien, die täglich improvisieren müssen. Eltern, die ihre Kinder motivieren sollen, obwohl sie wissen, dass kein richtiger Unterricht stattfindet. Eltern, die nach der Arbeit noch Mathe erklären, weil die Schule es nicht schafft. Eltern, die trotz aller Mühen am Ende mit Schuldzuweisungen konfrontiert werden.  

Was sich ändern muss:  

Statt weiterer Sparpolitik braucht es echte Investitionen:  

– Mehr und besser ausgebildete Lehrer, mit attraktiven Arbeitsbedingungen.  

– Multiprofessionelle Teams aus Sozialarbeitern, Psychologen und Sonderpädagogen.  

– Echte Digitalisierung, nicht nur Geräte, sondern Konzepte und Support.  

– Förderung statt Bestrafung: Schulverweigerung ist oft ein Hilferuf, kein Delikt.  

– Eltern einbeziehen, statt sie zu kontrollieren.  

Bildung ist kein Verwaltungsakt, sondern ein Menschenrecht.

Ein System, das nur funktioniert, weil Eltern und Lehrer über ihre Grenzen gehen, ist kein gutes System, es ist ein krankes System. Und es ist unsere gemeinsame Verantwortung, das zu ändern.

https://www.bild.de/regional/berlin/berlin-haelfte-der-klassenfahrten-gestrichen-674dd53345cc3b55acdb5a31

https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/deutschland-hat-2022-vierthoechste-schulabbrecherquote-europaweit-19515441.html

https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2024/10/mehr-schulschwaenzer-in-brandenburg.html

https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/bildungsverlierer-immer-mehr-schulabbrecher-rheinland-pfalz-100.html

EchtUnperfekt 🙂


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