Warum wir sie hinterfragen sollten
Jeder von uns kennt sie, die typischen Erziehungssprüche, die seit Generationen hartnäckig verwendet werden. Manche sind harmlos oder sogar hilfreich, andere können Kinder verunsichern oder schaden, ohne dass es den Erwachsenen manchmal bewusst ist. Doch warum halten sich diese Sprüche so hartnäckig? Und wie können wir sie durch eine moderne, empathische Sprache ersetzen, die Kinder stärkt?
Als Erzieherin erlebe ich oft, dass Kinder mit Sorgen oder Fragen zu mir kommen. Manchmal höre ich, wie Erwachsene mit altbekannten Sprüchen reagieren: „Das ist doch nur eine Phase!“, oder „Da musst du jetzt durch!“ Solche Sätze helfen Kindern wenig. Wenn ein Kind leidet oder sich unverstanden fühlt, braucht es keine Floskeln, sondern echte Unterstützung.
Warum halten wir an alten Sprüchen fest?
Oft hört man: „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Doch nur weil etwas lange praktiziert wurde, heißt das nicht, dass es heute noch sinnvoll ist. Ein Beispiel ist die Vorstellung, dass Kinder „hart im Nehmen“ sein müssen. Früher durften Kinder ihre Gefühle nicht zeigen, besonders Jungen. „Jungen weinen nicht“ ist ein Satz, den viele kennen. Heute wissen wir, wie wichtig es ist, Emotionen zuzulassen und zu lernen, mit ihnen umzugehen. Wer seine Gefühle unterdrückt, trägt sie später mit sich herum, das kann sogar gesundheitliche Folgen haben.
Ein weiteres Beispiel: „Wer nicht hören will, muss fühlen.“ Dieser Spruch hat früher oft körperliche Bestrafung gerechtfertigt. Heute wissen wir: Strafen und Druck führen nicht dazu, dass Kinder langfristig ihr Verhalten ändern. Gespräche, Erklärungen und klare Regeln sind viel wirksamer.
Warum halten wir also an solchen Sätzen fest? Oft aus Gewohnheit. Vielleicht wurden sie uns selbst als Kind gesagt, und wir hinterfragen sie nicht weiter. Oder wir denken, dass sie Kinder „abhärten“ und auf das Leben vorbereiten. Doch wollen wir wirklich, dass Kinder lernen, ihre Gefühle zu unterdrücken und sich allein durchzukämpfen? Oder wollen wir sie so begleiten, dass sie selbstbewusst und gestärkt in der Welt stehen?
Was macht Sprüche problematisch?
Nicht jeder alte Spruch ist schädlich aber viele enthalten Botschaften, die Kinder kleinmachen oder ihnen ein falsches Bild von sich selbst vermitteln. Ein Beispiel: „Du musst nur fleißig sein, dann klappt das schon.“ Fleiß ist wichtig, aber er garantiert keinen Erfolg. Manche Kinder haben größere Hürden zu überwinden durch familiäre Umstände, gesundheitliche Probleme oder soziale Benachteiligung. Wenn ein Kind trotz großer Anstrengung scheitert, kann dieser Satz dazu führen, dass es sich selbst die Schuld gibt. Besser wäre: „Ich sehe, dass du dich anstrengst. Lass uns gemeinsam überlegen, was du noch brauchst, um dein Ziel zu erreichen.“
Auch „Das ist doch nur eine Phase“ kann problematisch sein. Sicher gibt es Phasen in der Entwicklung von Kindern die Trotzphase, die Teenagerzeit. Doch wenn ein Kind wiederholt zeigt, dass es mit etwas kämpft, sei es mit Ängsten, Schulstress oder sozialen Problemen, dann reicht es nicht, diese Phase auszusitzen. Kinder brauchen das Gefühl, dass ihre Sorgen ernst genommen werden.
Wie können wir Kinder stattdessen stärken?
Kinder brauchen Regeln und Grenzen, aber wie wir mit ihnen sprechen, macht einen großen Unterschied. Statt „Wenn alle von der Brücke springen, springst du dann auch?“ ein Satz, der Kinder bloßstellt, könnte man sagen: „Es ist manchmal schwer, Nein zu sagen, wenn alle anderen etwas tun. Lass uns darüber reden, wie du in solchen Situationen eine gute Entscheidung für dich treffen kannst.“
Anstatt „Du bist zu empfindlich“ eine Aussage, die Kindern vermittelt, dass ihre Gefühle nicht ernst genommen werden könnte man sagen: „Ich sehe, dass dich das traurig macht. Magst du mir erzählen, was genau dich verletzt hat?“
Es geht darum, Kinder nicht mit kurzen Floskeln abzuspeisen, sondern wirklich auf sie einzugehen. Ja, das kostet mehr Zeit und Energie. Aber es hilft Kindern langfristig viel mehr als alte Sprüche, die ihnen das Gefühl geben, nicht verstanden zu werden.
Erziehung muss mit der Zeit gehen:
Manchmal höre ich das Argument: „Früher haben wir das auch so gemacht, und wir sind doch auch groß geworden.“ Ja, das stimmt, aber heißt das, dass es die beste Methode war? Dieser ist mein persönlicher Hassspruch 😉
Vor 50 Jahren wusste niemand, wie wichtig psychische Gesundheit ist oder dass es verschiedene Lernstile gibt. Heute wissen wir: Jedes Kind ist anders, und das ist gut so. Unsere Aufgabe ist es, Kinder in ihrer Einzigartigkeit zu unterstützen und nicht, sie in alte Muster zu pressen.
Ich erinnere mich an ein Kind aus meiner Gruppe, das oft ängstlich war und sich wenig zutraute. Früher hätte man vielleicht gesagt: „Reiß dich zusammen“ oder „Das ist doch nicht so schlimm.“ Aber stattdessen haben wir ihm geholfen, seine Ängste zu benennen und gemeinsam Lösungen zu finden. Mit der Zeit wurde es mutiger und selbstsicher nicht, weil es sich „zusammengerissen“ hat, sondern weil es verstanden hat, dass seine Gefühle okay sind und dass es Wege gibt, mit ihnen umzugehen.
Kinder von heute wachsen in einer anderen Welt auf als frühere Generationen. Die Jobs der Zukunft werden andere Fähigkeiten erfordern als noch vor 50 Jahren. Kommunikation, Kreativität, kritisches Denken, all das wird wichtiger. Warum sollten wir dann an einer Sprache und Erziehung festhalten, die aus einer ganz anderen Zeit stammt?
Es ist nie zu spät, alte Denkmuster zu hinterfragen und neue Wege zu gehen. Kinder brauchen keine perfekten Erwachsenen, aber sie brauchen Menschen, die bereit sind, sich weiterzuentwickeln und dazuzulernen. Wenn wir ihnen das vorleben, geben wir ihnen ein Geschenk mit auf den Weg, um die Fähigkeit, selbstbewusst, empathisch und offen durch die Welt zu gehen.
Denn Erziehung ist nichts Starres, sie darf und muss sich weiterentwickeln, genau wie unsere Gesellschaft selbst.
Welche alten Sprüche habt ihr selbst gehört oder verwendet? Und was könntet ihr heute stattdessen sagen? Teilt eure Ideen, denn gemeinsam können wir eine einfühlsamere Sprache finden, die Kinder stärkt!
EchtUnperfekt 🙂
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